In der heutigen Unternehmenswelt spielt die Erfassung von Daten eine zentrale Rolle. Alles scheint messbar, von Produktivität bis hin zur Mitarbeiterzufriedenheit. Doch was, wenn diese Zahlen oft nur an der Oberfläche kratzen und das Wesentliche unberücksichtigt bleibt? Lothar Wenzl, systemischer Unternehmensberater und passionierter Zumuter, plädiert für einen Perspektivwechsel: weg von der reinen Messung, hin zu Zuhören und Dialog. Dies sei der einzige Weg, um die wahre Produktivität in Unternehmen zu erfassen.
Im Interview erzählt Lothar, warum er reines Zahlenmessen für unzureichend hält, was es mit der „Pseudo-Objektivierung“ von Produktivität auf sich hat und wie Unternehmen durch Dialog und Austausch zu einer ganz neuen Art des Verstehens gelangen können.
Jeanny Gucher: Wir haben in unserem Workshop viel darüber gesprochen, was zurzeit in Unternehmen alles gemessen wird. Du sprichst dich eindeutig für die Methode des Monitorings aus. Was ist der Unterschied?
Lothar Wenzl: Messen ist im Bereich sozialer Interaktion kein geeignetes Konzept, da es keine Auskunft über Qualitäten geben kann. Monitoring, man könnte auch die Begriffe “Wahrnehmen” oder “Beobachten” verwenden, ist ein Konzept, das uns dazu zwingt, die Qualität ins Auge zu fassen. Durch Beschreiben von Beobachtungen beschäftigen wir uns mit sozialer Interaktion auf viel angemessenere Weise. Indem wir Menschen fragen, was sie sehen – beinahe kinomäßig – sind wir viel näher an der Realität dran. Wenn wir dann noch fragen, was das Gesehene in ihnen auslöst, können wir auf die wichtige menschliche Beziehungsqualität fokussieren. Darin liegt eine ganze andere Tiefe und unendlich viele Möglichkeiten gehen auf.
JG: Besonders gut hat mir deine These gefallen, dass die Messung von Produktivität eine „Pseudo-Objektivierung“ darstellt. Inwiefern sind Zuhören und Beobachten zielführender für die Messung aber auch Steigerung von Produktivität?
LW: Wir tun oft so, als wäre alles messbar – auch das Leben oder die Zusammenarbeit. Natürlich ist Messen wichtig, wenn es um harte Daten geht. Diese sollten wir nutzen, wo es sinnvoll ist. Doch Zahlen allein erzählen nur die halbe Geschichte.
„Wenn wir aus Daten und Beobachtungen „Warm Data“ machen, also sie interpretieren und mit Emotionen in Verbindung bringen, dann entsteht echter Dialog. Und dieser Dialog ermöglicht es uns, Dinge zu verstehen, die durch reines Messen unsichtbar bleiben.“
Ein Beispiel: Wie nehmen wir Beziehungen im Team wahr? Messen greift hier zu kurz. Nun kann uns das Messen der Menge von Interaktionen helfen, uns anzunähern, aber die Qualität von Beziehungen erreichen wir nur, wenn wir etwa über unsere Emotionen und Wünsche sprechen. Der Austausch selbst schafft Verständnis und verbessert die Zusammenarbeit. Dabei geht es nicht nur um das Ergebnis – wir lernen durch den Prozess. Dialog und Zuhören werden so zu einer Fähigkeit, die uns zu einem besseren Miteinander führt.
JG: Das klingt plausibel, aber wie lässt sich das in einem Unternehmen mit hunderten Mitarbeiter:innen durchführen?
LW: Das ist eine berechtigte Frage. In großen Unternehmen geht es nicht darum, jede einzelne Beziehung im Detail zu beobachten – das wäre unmöglich und auch nicht sinnvoll. Aber was wir tun können, ist, Räume für Austausch und Dialog zu schaffen. Das bedeutet, bewusste Gelegenheiten zu schaffen, in denen Menschen offen über ihre Erfahrungen sprechen können.
„Es geht darum, ein System zu etablieren, das den Mitarbeiter:innen ermöglicht, regelmäßig in Kontakt zu treten und ihre Wahrnehmungen zu teilen.“
Statt alle Interaktionen top-down zu managen, können wir Großgruppenmethoden einsetzen, in denen oft viele hundert Menschen in einen Dialog treten können. Wir nennen das Echtzeit-Dialog. Das mag auf den ersten Blick aufwendig erscheinen, aber es ist in der Praxis sehr effektiv, zum Beispiel mit unserer Whole-Scale Change Methode™, in der große Gruppen eine wichtige Rolle spielen.
„Menschen wollen gesehen werden:
Wenn Menschen spüren, dass ihre Wahrnehmungen und ihre Beiträge ernst genommen werden, entsteht Vertrauen.“
Dieses Vertrauen bildet die Basis für produktive Zusammenarbeit, die über das bloße Messen von Leistung hinausgeht.
Danke für das Gespräch!
Lothar Wenzl war am 18. September Inputgeber in einem FXF-Workshop zum Thema „Produktivitätsmessung im KI-Zeitalter“:
Eindrücke dazu findest du hier.
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Lothar Wenzl
ist geschäftsführender Gesellschafter von Trainconsulting. Seit 21 Jahren begleitet er Organisationen durch tiefgreifende Transformationsprozesse. Dabei nutzen er und sein Team eine breite Palette an systemischen Interventionen, Großgruppen-Experiences und Organisations-Designs, um „beautiful organizations for a better world“ zu schaffen.
Jeanny Gucher
ist Community Experience Creator &
Programmleiterin des Future Experience Forums. Darüber hinaus ist sie Unternehmerin, Beraterin, Autorin, Speakerin und Leadership Coach. Seit zwei Jahrzehnten berät Jeanny internationale Unternehmen und Führungskräfte bei der Entwicklung ihrer Organisationen und Unternehmenskultur.