Austausch auf Augenhöhe und wohltuend analoge Präsenz zeichneten die Atmosphäre des Workshops „Learning Agility is Key“ am 19. November aus – mit Lernfreudigen aus den Unternehmen Wiener Stadtwerke, OMV, XAL, Iteratec, Moocon, International Atomic Energy Agency, Pavelka-Denk Personalberatung sowie PLANET architects.
Zahlreiche Inputs und Diskussionsansätze lieferten Workshop-Lead Marion Gartner und Impulsgeberin Alexandra Hilgers, Head of HR und Austrian Board Member bei Takeda – und gingen gemeinsam einer zentralen Frage nach:
Wenn KI immer mehr Anteile unserer Arbeit übernimmt – was bleibt eigentlich der Beitrag der Menschen?
Marion Gartner hat im folgenden Beitrag die wichtigsten Impulse des Workshops für euch zusammengefasst.
Warum Learning Agility zur Kernkompetenz der Zukunft wird
Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren mit unglaublicher Geschwindigkeit Einzug in unseren Alltag gehalten.
Sie schreibt Texte, baut Analysen, simuliert Strategien und verknüpft ganze Wissensbestände in Sekunden. Und genau dadurch passiert etwas, das tief in Organisationen hineinwirkt: Der Wert von Wissen sinkt – rapide. Wissen ist plötzlich überall: frei verfügbar, jederzeit abrufbar, unerschöpflich reproduzierbar.
Parallel entsteht ein zweites Phänomen:
Je mehr KI übernimmt, desto unsichtbarer wird der menschliche Beitrag. Was davon ist menschliches Können – und was Prompting?
Die Frage, die sich Menschen heute stellen, ist nicht nur existenziell – sie löst bei vielen auch Unsicherheit aus:
Woran erkenne ich eigentlich noch den Wert meiner eigenen Arbeit?
Genau hier beginnt die völlig neue Denkbewegung.
Die entscheidende Frage lautet nicht mehr: „Was weißt du?“,
sondern:







Was kann ich, was eine Maschine (bislang) nicht kann?
Um das zu verstehen, müssen wir den Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz neu betrachten.
Human Intelligence vs. Artificial Intelligence
Künstliche Intelligenz ist eine Simulation. Ein gigantisches Lego-System, das bestehende Bausteine immer wieder neu kombiniert – Daten, Muster, Wahrscheinlichkeiten. Aber sie erschafft nichts außerhalb dessen, was bereits existiert.
Sie ist berechnet – nicht erschaffen.
Menschliche Intelligenz dagegen ist emergent.
Sie entsteht aus einem lebendigen Zusammenspiel von Emotion, Erfahrung, Intuition, Körperwahrnehmung, Beziehung und Kontext.
Sie entfaltet sich – sie wird nicht simuliert.
Wir kennen alle diese Momente:
Ein Satz im Meeting.
Eine Frage, die einen Raum öffnet.
Eine Pause, die eine Richtung verändert.
Und plötzlich entsteht eine Idee, die niemand allein hätte hervorbringen können.
Und genau dort beginnt der eigentliche menschliche Wertbeitrag:
Wenn Menschen ihre zutiefst menschlichen Fähigkeiten emergent einsetzen – im Gespräch, im Tun, in der Zusammenarbeit – entsteht etwas, das sich nicht linear erklären lässt.
Wir Menschen können uns von dem, was durch unsere Prompts mit KI entsteht, inspirieren lassen – und es weiter formen, prägen, ausrichten. Wir spüren leise Signale, die in Daten noch nicht sichtbar sind. Wir erkennen Muster, die man (noch) nicht errechnen kann. Aus diesem Zusammenspiel entsteht auf brillante Weise wirklich Neues.
Diese Form von Intelligenz wird besonders relevant, wo Arbeit nicht nur effizient organisiert, sondern gemeinsam gestaltet wird – genau das prägt Zusammenarbeit und zeigt sich im Unterschied zwischen Kooperation und Kollaboration (die wir im Alltag oft synonym verwenden, obwohl sie grundverschieden sind).
Kooperation vs. Kollaboration
Kooperation heißt: arbeitsteilig nebeneinander arbeiten.
„Ich mache das – du machst das.“
Der Fokus: Effizienz, Reibungslosigkeit, klare Schnittstellen.
Kollaboration ist etwas völlig anderes:
Wir denken miteinander, nicht nebeneinander.
Wir lassen uns durch Beiträge anderer bewegen.
Wir verändern uns im Gespräch.
Und plötzlich entsteht etwas, das keiner allein hervorbringen kann.
Wenn Führungskräfte oftmals sagen:
„Im Büro geht so viel verloren“, dann meinen sie häufig eigentlich:
Uns fehlt Kollaboration – und damit ein zentraler Teil unserer Wertschöpfung.
Doch echte Kollaboration braucht Fähigkeiten, die keine Maschine (bislang) ersetzen kann: die immer wieder genannten 21st Century Skills bzw. Future Capabilities.

Die 21st Century Skills – sechs zentrale Zukunftsfähigkeiten, die die Superpower des Menschen ausmachen
Empathie & Resonanzfähigkeit
Die Fähigkeit, feine Signale wahrzunehmen – atmosphärisch, emotional, unausgesprochen.
➡️ Die stärksten Treiberinnen für hoch-performante Teams.
Sense-making
Bedeutung herstellen. Aus Fragmenten Zusammenhänge erkennen.
➡️ Wandelt Unsicherheit in Orientierung und erzeugt Commitment.
Ambiguitätstoleranz
Mehrdeutigkeit aushalten, ohne handlungsunfähig zu werden.
➡️ Teams bleiben arbeitsfähig, auch wenn Informationen unvollständig sind oder sich Rahmenbedingungen verändern.
Reflexionskompetenz
Den eigenen Gestaltungsanteil erkennen – ohne Beschuldigen, Ausweichen oder Verteidigen.
➡️ Führt zu reiferen Entscheidungen und schnellerem Lernen aus Erfahrungen.
Learning Agility
Im Tun lernen. Navigieren in Unsicherheit. Leise Signale deuten, verlernen, umlernen, neulernen.
➡️ Zentrale Fähigkeit, um sich schnell und stimmig an neue Gegebenheiten anzupassen.
Die Fähigkeit, gute Fragen zu stellen
Vom Brainstorming zum Questionstorming.
Nicht: „Welche Ideen haben wir?“
Sondern: „Welche Fragen müssten wir eigentlich stellen?“
➡️ Verhindert vorschnelle Lösungen und öffnet den Raum für echte Problemerkennung.
All diese Fähigkeiten zeigen:
Das Lernen, das wir heute brauchen, entsteht nicht mehr durch Wissensaufnahme, sondern durch Resonanz, Beziehung, Spannung, Widerspruch und Reflexion.
Wie man mit dem
Shu–Ha–Ri–Kokoro-Modell Lernräume für 21st Century Skills schafft
Um den Status Quo von Menschen und Organisationen einordnen und weiterentwickeln zu können, hilft das japanische Lernmodell Shu–Ha–Ri–Kokoro, das ursprünglich aus der Kampfkunst kommt. Das System benennt dabei folgende Entwicklungsstufen bzw. Unternehmenstypen:
• Shu – Regeln befolgen
Es geht um Standards, Abläufe und Sicherheit.
Nicht blind – sondern um Sicherheit, Orientierung und Kompetenz aufzubauen.
Typische Lernformate: Trainings, E-Learnings, SOPs oder Guidelines. Hier kann KI gut unterstützen.
• Ha – Regeln hinterfragen
„Ha“ lässt bestehende Muster der Organisation hinterfragen: „Warum machen wir das so, wie wir das machen?“ Und: „Was wäre, wenn wir Dinge anders machen würden?“
Typische Lernformate: Scrum, Retros, Prototyping oder Job-Rotation.
• Ri – Regeln verinnerlichen
Regeln verschwinden nicht – sie werden zu inneren Prinzipien.
Man folgt nicht mehr einer Anleitung, sondern handelt aus Erfahrung, Intuition und Verantwortung.
Typische Lernformate: Innovation Labs, Mentoring, Thought- Leadership-Beiträge entwickeln oder das Führen von interdisziplinären Teams.
• Kokoro – verkörperte Weisheit
The highest level: Kokoro – das Handeln aus Präsenz, Verantwortung, Verbundenheit und Sinn. Die Kokoro-Führungskraft handelt mühelos, klar, einfach und verbunden aus der inneren Haltung heraus.
Typische Lernformate: Supervision, Embodiment, Mindful Leadership, Leadership Labs mit Fokus auf Haltung & Wirkung, Sense-making Formate: (Deep Listening, Dialogkreise), Journaling etc.
In a nutshell:
„Ri handelt exzellent. Kokoro handelt stimmig.“
„Eine Ri-Führungskraft ist ein Meister. Eine Kokoro Führungskraft ist ein Meister, der übt.“

Fazit
Wenn alles, was automatisierbar und validierbar ist, von KI übernommen wird, entsteht Wert dort, wo Menschen in Unsicherheit navigieren können, Ambivalenzen halten, Resonanz spüren und Neues hervorbringen.
Learning Agility wird damit zur Kernkompetenz einer Welt, die nicht planbar ist – aber gestaltbar.
Das Shu–Ha–Ri–Kokoro-Modell zeigt einen möglichen Entwicklungsweg dorthin:
von Regeln → über Experimente → zu Prinzipien → zu Haltung.
Du interessierst dich für das Thema Lernfähigkeit als Produktivitätsfaktor?
Dann melde dich gerne hier zum Workshop „Human Centric Futures“ an. Der Workshop findet am 8. April 2026 im
Hinterhaus in Wien statt.

Marion Gartner
Mit einem Background von mehr als fünfzehn Jahren Erfahrung in internationalen HR- und Organisationsentwicklungsrollen kuratiert Marion im Future Experience Forum Formate für Dialog, Reflexion und neue Perspektiven.

